Schlafmangel – Ein Problem von Führungskräften

Von Müh’n erschöpft such’ ich mein Lager auf,
Die holde Ruhstatt reisemüder Glieder,
Doch dann beginnt in meinem Kopf ein Lauf,
Wach wird der Geist, sinkt schwach der Leib danieder.
………
So dass um Deinethalb am Tag die Ruh
Die Glieder flieht und Nachts den Geist dazu.

(Übersetzt von Friedrich Bodenstedt (1866))

Trotz körperlicher Müdigkeit gelingt es Shakespeare immerhin noch ein Sonnet über die Frau zu schreiben, die er liebt und um die seine müden Gedanken kreisen. Moderne Führungskräfte lächeln darüber und machen gute Miene zum Bösen Spiel in Ihrer Überlastung. Doch das ist nicht gut. Schlafmangel wird mehr und mehr zu einem Problem von Führungskräften.

Je schneller das Gehirn neues Wissen verarbeiten muss, anstatt sich einfach mit sich wiederholenden und vertrauten Situationen zu beschäftigen, desto mehr setzt sich eine Führungskraft der Gefahr aus, durch Schlafmangel deutlich unter ihre Leistungsfähigkeit zu sinken. Nach Nick van Dam und Els van der Helm (McKinsey’s Quarterly Magazine, Februar 2016) funktioniert das Gehirn nach einem 16 bis 17-stündigen Tag so, als stünde es unter dem Einfluss eines rechtlich gerade noch zulässigen Alkoholspiegels. 20 Stunden zu arbeiten ohne zu schlafen, d.h. also bis, sagen wir 1 Uhr nachts, lässt das Gehirn ungefähr so arbeiten, wie eine Person, die die U.S.-amerikanische Grenze für Trunkenheit erreicht hat.

Auch das kann nicht gut sein.

Haroon Siddique berichtet im Guardian, dass die britische Royal Society for Public Health (Königliche Gesellschaft für Gesundheitswesen) im April 2016 die Ergebnisse einer Befragung von 2000 Erwachsenen vorgestellt hat. Es mag einen besseren Termin für die Veröffentlichung von Fakten geben als den 1. April, aber die Ergebnisse einer noch größeren Gruppe an Befragten als bei McKinsey stützen die weit verbreitete Auffassung, dass sie nicht genug Schlaf bekommen.

Ein Nebeneffekt von Schlafmangel ist, dass er die Sucht nach Essen verstärkt. Der Herausgeber des Magazins Guardian Science (29. Februar 2016), Ian Sample, verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie der Chicago University zum Schlafdefizit. In dieser Studie wird beschrieben, dass zwei Gruppen die gleichen Mahlzeiten verabreicht wurden, der einen mit durchschnittlich 7,5 Std. Schlaf pro Nacht und der anderen mit 4 Std. 11 Minuten Schlaf.

Nach vier Nächten wurden den Probanden kleine Imbisse angeboten. „Die Probanden mit Schlafdefizit verspürten einen starken Drang, sich mit fettigem Essen voll zu stopfen, …auch wenn sie erst zwei Stunden zuvor eine reichhaltige Mahlzeit zu sich genommen hatten“. Schaut man auf den Einfluss etwaiger neurochemischer Stoffe, so scheint Schlafdefizit den Pegel natürlich auftretender Stoffe, die den chemischen Stoffen in Cannabis stark ähneln, zu erhöhen. Demnach scheint Schlafmangel tatsächlich zu verstärkter Genusssucht und gesteigertem Kontrollverlust zu führen.

Dem McKinsey-Bericht zufolge, in dem 196 Geschäftsführer befragt wurden, sagte knapp die Hälfte von diesen, sie bekämen in mindestens vier Nächten pro Woche nicht genügend Schlaf, zwei Drittel gaben an, allgemein nicht mit der Dauer ihres Schlafes zufrieden zu sein und 83 % bemängelten, dass ihre Unternehmen in Führungsseminaren unzureichend auf die Bedeutung des Schlafes aufmerksam machten.

Führungsverhalten ist vor allem vom Funktionieren der vorderen, für das Treffen von Entscheidungen zuständigen Hirnregionen abhängig, zusammen mit der Fähigkeit, Informationen beider Gehirnhälften zu verknüpfen, wobei die linke Hälfte zuständig ist für bereits angeeignetes Wissen und die rechte für noch wenig Bekanntes. Eine Beeinträchtigung dieser Gehirnregion durch wenig Schlaf und verminderte Energieversorgung – denn die vorhandene Energie wird ja bei defizitären Bedingungen für die Grundfunktionen benötigt – bedeutet ein starkes Handicap für erfolgreiche Leistungsfähigkeit.

Ein äußerst interessanter Aspekt von Führungseffektivität ist die Art und Weise, wie der Blick des Bosses bei seinen Mitarbeitern verfolgt wird. In einer besonderen Studienreihe untersuchten Marco Tullio Liuzza, inzwischen an der Universität Stockholm, und seine damaligen Kollegen an der Universität Rom, wie Anhänger und Gegner von Berlusconi auf dessen Blick reagierten, als er auf der Höhe seiner Popularität war und als er in Ungnade gefallen war. Sie zeigten gravierende Unterschiede in den Aufmerksamkeitsmustern auf: bei einem mächtigen und bei einem entmachteten Berlusconi und zwischen Anhängern und Gegnern.

Es ist hinlänglich bekannt, dass wir von glänzenden Augen (hervorgerufen durch die Ausschüttung des Glückshormons Oxytocin) mehr eingenommen sind als von Blicken aus Augen, die wie die eines toten Fisches anmuten (hervorgerufen durch stressbedingte Cortisol-Ausschüttung). Deshalb mag es keine allzu verwegene Verallgemeinerung sein, aufgrund der Liuzza-Studien anzunehmen, dass die Folgen des Erscheinungsbildes der Augen durch Schlafdefizit bei Führungskräften zu einer deutlichen Verringerung ihrer wahrgenommenen Führungseffektivität führen können. Der McKinsey-Bericht verweist auf Studien, die zeigen, dass „…Menschen, die nicht genug Schlaf hatten, weniger geneigt sind, anderen Menschen voll zu vertrauen…“. Was, wenn andere auch kein Vertrauen mehr zu dem haben, der unter Schlafdefizite leidet?

Was kann man tun? Diejenigen, die auf Daten und Technik setzen, verweise ich auf HeartMath UK. HeartMath beschäftigt sich seit Jahren mit der Fähigkeit, nachts abzuschalten und die Schlafqualität zu verbessern. Sie zeigen einige interessante Methoden auf und erläutern, wie sich das Herz während eines guten Schlafes und während eines schlechten Schlafs selbst steuert. Vgl. http://heartmath.co.uk.

Oder belohnen Sie sich jeden Abend kurz mit einer Variation Ihrer Einschlafgewohn-heiten. Die fünfzehnminütige Lektüre eines Buches von Bernard Cornwell und der wohltuende Genuss eines warmen Getränkes vor dem Schlafengehen können die Chemie eines stressigen Tages ändern. Oder auch die angenehme Lektüre der Werke von Jane Austin: man beginnt mit dem ersten Werk und liest dann eines nach dem anderen. Versinken Sie in das Buch. Jeden, der sich gegen solch eine Idee sträubt, weil die Lektüre das Gehirn, das doch schlafen soll, arbeiten lässt, ermuntere ich zu versuchen, andersartige Gehirnchemikalien zu aktivieren. Es gibt kaum etwas Besseres als mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen einzuschlafen.

Veröffentlicht in „Developing Leaders“, April 2016
© 2017 P T Brown

Von P.T. Brown PhD, Faculty Professor – Applied Neuroscience, Monarch Business School Switzerland; Chairman, Global Leaders/Executive Coaching Vietnam; Chairman of The ION Partnership (International Organisational Neuroscience); guest lecturer at the Fulbright EconomicsTeaching Program in HCMC; faculty at UK’s Royal college of Defence Studies; clinical and organisational psychologist and executive coach and supervisor. Co-author of „Neuropsychology for Coaches“, „Neuroscience for Leadership“ and „The Fear-Free Organization“.